Umgeben von Solling und Reinhardswald liegt in einem abgeschiedenen Teil des Wesertals ein Kleinod des bürgerlichen Barocks: Französische Hugenotten waren die ersten Bewohner der von Landgraf Carl von Hessen-Cassel im Jahre 1699 gegründeten Stadt.
Sieburg – so der ursprüngliche Name von Carlshafen – wurde nach ehrgeizigen Plänen symmetrisch um einen neuen Hafen erbaut. Ein Kanal sollte als moderne Wasserstraße entlang der Diemel bis zur Residenzstadt Kassel und weiter nach Marburg führen, offenbar auch um die Zahlungen zur Befreiung von der Stapelpflicht im niedersächsischen Hannoversch Münden zu umgehen.
Der Zugang zum Meer sollte über die Weser erfolgen.
Alle einlaufenden Schiffe sollten nach französischem Vorbild wie in einem „Ehrenhof“ empfangen werden. Diese Anlagen, das eindrucksvolle Rathaus – ehemals Pack- und Lagerhaus für zu verschiffende Waren – und viele weitere repräsentative Gebäude zeugten bereits zu jener Zeit von dem Vorhaben, ein bedeutendes Zentrum des Handels und der Manufakturen zu errichten.
Der vom Landgrafen begünstigte und noch heute umstrittene zeitgenössische Erfinder Johann Bessler, genannt Orffyreus, beschrieb die damaligen Anstrengungen angeblich mit den Worten
„Hier wird entstehen eine Stadt, die wenig ihres gleichen hat“.
Sein Bildnis ist im Schlussstein eines Portals der weißen Fassaden eingelassen – das beeindruckende Idealmodell der Stadt allerdings wurde aus vielen Gründen nie vollendet.
Bartholomäusnacht in Paris, acht Hugenottenkriege, ein zweifelhafter Frieden.
Mit der Aufhebung des Edikts von Nantes im Jahre 1685 durch den Sonnenkönig Ludwig XIV. wurden die Rechte der protestantischen Minderheit in Frankreich endgültig abgeschafft. Trotz eines strikten Verbots flohen daraufhin Hunderttausende unter kläglichen Umständen binnen weniger Monate aus ihrer Heimat. Angekommen in Frankfurt am Main wurden sie auf deutschem Gebiet unter anderem in Berlin und Brandenburg-Preußen aufgenommen.
Schon zwei Jahre zuvor förderte Carl von Hessen mit seiner Freyheits-Concession die Einwanderung der Glaubensflüchtlinge in die Landgrafschaft. Neben der Zusicherung von religiösem Beistand erhoffte er sich positive Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Entwicklungen in seinem Lande, das nach dem dreißigjährigen Krieg darniederlag.
In Sieburg siedelte er zu Beginn siebenunddreißig Familien aus der Dauphiné und dem Languedoc an. Bauern und Handwerker – wie Tuchmacher, Strumpfwirker, Hutmacher und Wollweber – ein Wirt, ein Kaufmann, ein Fuhrmann, sowie ein Pfarrer, ein Kantor, ein Arzt und ein Apotheker waren die ersten Einwohner der entstehenden Stadt. In Hessen sprach man nun auch französisch – noch etwa 150 Jahre lang wurden Gottesdienste in der mitgebrachten Sprache gehalten. Zu Ehren des Gründers wurde Sieburg in Carlshaven umbenannt.
Bereits im Jahre 1730 entdeckte der Chirug und Apotheker Jacques Galland aus Veynes eine Solequelle in unmittelbarer Nähe der Stadt etwas östlich Richtung Reinhardswald unter einem Felsen verborgen. Dieses Ereignis führte zunächst zu einem regen Handel mit Salz, wofür eine Saline mit Pumpwerk und drei Gradierwerken gebaut wurde. Ab Mitte des 19ten Jahrhunderts florierte schließlich auch der Bade- und Kurbetrieb.
Das heutzutage geförderte Wasser kommt mit einer Austrittstemperatur von etwa 40° Celsius aus einer Tiefe von 1.150 Metern. Die Quelle hat einen Solegehalt von 23 Prozent und einen hohen Anteil an Mineralien und Spurenelementen. Die gesundheitsfördernde Wirkung wird vom Betreiber inzwischen deutschlandweit in einigen Bädern genutzt. Die direkt am Fluss gelegene und aufwändig gestaltete Kristall-Weserberglandtherme hat mehrere Becken mit Wasser von bis zu 12 Prozent Salzgehalt und Temperaturen von 32 bis 35° Celsius.
Bad Karlshafen ist heute ein beschaulich-schöner Ort inmitten einer ursprünglichen, fast vergessenen Landschaft. Die außergewöhnliche Geschichte prägt immernoch die Atmosphäre der Stadt – weiß, barock und: würdig wartend.
Eine einfache aber reizvolle Uferpromenade führt vom Gradierwerk vorbei an der Anlegestelle der Weserschifffahrt bis hin zum Hafenbecken. Hier, im Zentrum der Stadt, befinden sich Museum und Sitz der Deutschen Hugenotten-Gesellschaft, das imposante Rathaus, historische Patrizierhäuser und viele weitere interessante Gebäude und Sehenswürdigkeiten, die auch durch geführte Besichtigungen erkundet werden können. Gelegenheiten für eigene Entdeckungen – wie die Steinplastik „Karlshafener Hugenottenpärchen“, die unerwartet geringe Breite des Kanals oder der merkwürdige, an einem Berghang endende Blick auf die stattliche Straßenflucht der Planstadt, finden sich überall.
Cafés, Restaurants und sympathische Lokale bieten mit ihrem fast intimen Ambiente einige Möglichkeiten, gemütlich zu verweilen, hessische und hugenottische Spezialitäten kennenzulernen oder den Abend zu gestalten. So kommt es vor, dass im Bistro mit Musikern aus der Region bis tief in die Nacht gefeiert wird.
Klassische und moderne Konzerte, Hafen- und Flußbeleuchtung mit Feuerwerk, kulturhistorische Vorträge, Themen-Schiffahrten auf der Weser und das Hugenottenfest sind nur einige der Veranstaltungen, die in Bad Karlshafen alljährlich stattfinden.
Bad Karlshafen liegt in einer äußerst sehenswerten Umgebung. In unmittelbarer Nähe befindet sich einer der ältesten Urwälder Deutschlands, ein bereits im Jahre 1571 angelegter Wildpark, das Naturdenkmal „Nasser und Trockener Wolkenbruch“ sowie das „Dornröschenschloss“ Sababurg, die Krukenburg und die Trendelburg, die gemeinsam durch eine Sage verbunden sind. Im Kloster des viel älteren Ortsteils Helmarshausen wurde das kunstvolle Evangeliar Heinrichs des Löwen hergestellt.
Hier, in diesem märchenhaften und urtümlichen Land wurde nach 150 Jahren im Mai 2008 wieder der erste hessische Wolf gesichtet. Vielleicht kam er aus den Wäldern bei Berlin…